Leukämie und abgereichertes Uran

Autor: HL

eingereicht: 22. Jan. 2001


Kurzfassung: Die bekannten, gesicherten Fakten belegen bisher keinen statistischen Zusammenhang zwischen verschossener, abgereicherter und/oder aufbereiteter Uranmunition. Dies ist genau das Resultat, das ein Strahlenphysiker auch erwartet. Trotzdem sollte man überlegen, was allenfalls übersehen worden sein könnte. Man stösst dabei auf die alte Frage von natürlich vorkommenden Strahlenquellen und "künstlichen". Zudem stellt sich die Frage: Kann es beim Auftreffen von solcher Munition wegen der entstehenden grossen Hitze zu chemischen Reaktionen von Uran oder andern Elementen in der Munition mit Zielmaterial und/oder Munitionsmaterial kommen, deren Produkte viel gefährlicher sind als die Ausgangsstoffe entweder wegen der grösseren Toxizität dieser neuen Stoffe oder wegen ihres Verhaltens bei Inkorporation.

Leukämie und abgereichertes Uran

Zur Beurteilung braucht es etwas Grundwissen zur Statistik und zur Strahlenwirkung:

Statistische Grundfakten:

  1. Es gibt etwa 3 Leukämiefälle pro 100'000 Menschen und Jahr. Auf die eher jungen Soldaten bezogen dürfte es sich eher um einen Fall pro 100'000 Menschen und Jahr handeln.

  2. Der eine Fall in der Schweiz ist statistisch nicht interprtierbar, da sich im statistischen Sinne 1 und 0 kaum unterscheiden.

  3. Für die angeblich 6 Fälle in Italien fehlen mir die nötigen Zusatzinformationen zu einer Beurteilung. Man müsste die Gesamtzahl der Sodaten kennen und die Zeit, in der sie in potentiell gefährdeten Gebieten waren, und man müsste wissen, ob die Erkrankten überhaupt in hypothesengemäss gefährdeten Gebieten waren, und wann sie dort waren.

Nach den mir beikannten Fakten gibt es demnach bis jetzt keine statistisch gesicherten Hinweise für das sogenannte Balkansyndrom. Andererseits wurde damit ein altes Problem angeschnitten bzw. wieder in Erinnerung gerufen, dass wir nämlich sehr wenig über die biologische Wirksamkeit "künstlicher", radioaktiver Quellen wissen, dem von den Strahlenexperten mehr Beachtung geschenkt werden sollte, auch wenn die Untersuchung dieser biologischen Wirksamkeit zugegebenermassen äusserst schwierig ist.

Grundwissen zu den verschiedenen Strahlenarten:

  1. Alpha-Strahlung: Dies sind Heliumkerne, die mit hoher Geschwindigkeit beim radioaktiven Zerfall weggeschleudert werden. Sie haben nur sehr kleine Reichweiten. Darum sind sie nur gefährlich, wenn sich die Strahlquellen, z.B. Uran- oder Plutonium(-Verbindungen) auf dem Körper oder im Körper befinden. Dann wirken sie aber ausserordentlich zerstörerisch; das sind Dumdumgeschosse auf zellulärer Ebene.

  2. Beta-Strahlung: Das sind Elektronen oder Positronen. Sie habe schon eine grössere Reichweite, richten im Körper, d.h. in den getroffenen Zellen, weniger Unheil an als die Alphateilchen.

  3. Gamma-Strahlung: Dies ist einfach noch kurzwelligere und damit energiereichere elektromagnetische Strahlung als Röntgenstrahlung und damit natürlich wie diese sehr durchdringend. Ihre Wirkung kann daher auch grob mit Röntgenstrahlung verglichen werden, die auf ihrer Strahlbahn deutlich weniger zerstörerisch wirkt als Alphastrahlen.

  4. Spontane Kernspaltung: Manche schwere Kerne, wie z.B. das Uranisotop 235, zerfallen auch durch spontane Kernspaltung. Dann besteht die Strahlung aus Kernfragmenten, deren Reichweite zwar sehr klein, deren Zerstörungspotential in Zellen aber ungeheuer gross ist; das sind Splitterbomben auf zellulärer Ebene, weil die Spaltprodukte, unter denen es Alpha-, Beta- und Gammastrahler gibt, auch wieder zerfallen

Beta- und Gammastrahler sind auch gefährlich, wenn sie mit dem Körper nicht in Berührung kommen, weil die Strahlung, die sie aussenden sehr durchdringend, d.h. langreichweitig ist. Diese Art der Schädigung ist in der Regel harmloser als die Schädigung bei Inkorporation. Bei Inkorporation kann man die Gefährlichkeit nicht direkt mit der Energiefreisetzung bzw. der Zerstörungskraft bzw. der Ionisationsdichte auf dem Strahlweg gleichsetzen, weil eine sehr starke Zerstörungskraft die getroffenen Zellen in der Regel abtötet, was in der Regel harmloser ist, als sie nur zu mutieren. Ohne quantitative Analyse, die sehr schwierig ist, ist eine echte Beurteilung darum nicht möglich.

Strahlenquellen, die auf dem Körper haften oder sich im Körper befinden, können immer sehr gefährlich sein. Ganz besonders gefährlich sind dann aber die meisten Alpha-Strahler und Kerne, die spontan in grosse Bruchstücke zerfallen können. Die Wirkung solch inkorporierter Strahlenquellen (z.B. Uran oder Plutonium) hängt aber ganz prinzipiell nicht primär von der Menge der aufgenommenen radioaktiven Partikel ab. Wichtig ist:

  1. Verweilzeit im Körper: Eine kurze Verweilzeit macht ernsthafte Schäden natürlich unwahrscheinlich. Diese Verweilzeit hängt aber von der Art ab, in der die Strahlquellen aufgenommen wurden, z.B. in Form von welchen chemischen Verbindungen und vom Aggregatzustand, ob als Gas, Flüssigkeit oder Festkörper (z.B. als kleinste Staubpartikel, die jahrelang in der Lunge bleiben können). Ich hoffe, jeder wird jetzt sofort erkennen, wie komplex diese Problematik ist. Mit einem Geigerzähler richtet man da nichts aus. Solche Messungen können zeigen, wo es überhaupt Strahlenquellen gibt, sie sagen aber nichts aus über das Gefahrenpotential bei Inkorporation, nicht einmal über die Gefahr überhaupt etwas zu inkorporieren.

  2. Ablageort der Strahlenquellen im Körper: Bei sehr kurzreichweitiger Strahlung - teilweise im Submillimeterbereich - hängt die Gefährlichkeit ausserordentlich davon ab, wo die Strahlenquellen im Körper gelagert werden, wo sich ihre Wirkung entfaltet. Dies hängt wieder von der Form ab, in der die strahlende Materie aufgenommen wird, d.h. insbesondere von den chemischen Eigenschaften. Auch diese Fragen sind ausserordentlich schwierig und komplex.

  3. Natürliche und künstliche Strahlung: Man kann immer wieder hören - selbst von Hochschulprofessoren bzw. Professorinnen - dass es keinen Unterschied zwischen natürlicher und künstlicher Strahlung gebe. Dies ist nur solange keine Lüge, als man natürlich und künstlich nicht klar definiert, d.h. solange sich darunter jeder und jede das vorstellen kann, was sie gerade will. Gemeint sind ja wohl in aller Regel in der Umwelt ganz normal und verbreitet vorkommende, radioaktive Strahlquellen und "künstliche", mit denen wir erst durch menschliche Tätigkeiten in Berührung kommen. Erstere sind harmlos, weil sie vom Körper nur an Orten eingebaut werden, wo sie keinen wesentlichen Schaden anrichten können, z.B. das Kalium 40 in den Knochen. Dafür sorgt die Evolution. Bei "neuen" Strahlenquellen, die unglücklicherweise an empfindlichen Körperstellen abgelagert werden oder gar in wichtige Zellmoleküle eingebaut werden, könnte man - bei weltweiter Verseuchung - im Prinzip auch warten, bis die Evolution einen neuen, resistenten bzw. resistenteren Menschen geschaffen hat oder bis er eben ausstirbt. Für Wissenschafter ist es aber eine interessante Herausforderung, die Mechanismen bei Inkorporation möglichst genau kennen und verstehen zu lernen. Schnelle Antworten sind nicht zu erwarten.

Beim Verschiessen von abgereicherter und/oder aufbereiteter Uranmunition gibt es gleich noch ein weiteres Problem: Da beim Auftreffen - je nach Ziel - sehr hohe Temperaturen entstehen können, kann es zu chemischen Reaktionen zwischen Munitionsteilen und Zielteilen kommen. Die Reaktionsprodukte können dabei - wenn man Pech hat - um vieles gefährlicher sein als die Ausgangselemente und Verbindungen, sei dies nun bezüglich Toxizität oder bezüglich ihrem andern Inkorporationsverhalten.

Was soll das, werden Sie sagen: "Das sind ja mehr Fragen als Antworten". Man soll aber nicht immer nur das erzählen, was man genau verstanden hat oder glaubt verstanden zu haben. Es ist sehr wichtig auch die Grenzen unseres Wissens zu kennen. Sokrates hat dem modernen Menschen noch sehr viel zu sagen.

Zusatz vom 10.2.2001: Man hört, dass der Urin derjenigen Personen, deren Blut wegen des "Balkansyndroms" untersucht wurde und in deren Blutbild Abweichnungen gefunden wurden, auf strahlende Teilchen untersucht werden soll. Das ist nach dem, was in obigem Artikel ausgeführt wurde, ja nicht gerade eine überzeugende Untersuchungsmethode, da ja diejenigen radioaktiven Teilchen, die vom Körper z.B. über das Urin in messbarer Menge ausgeschafft werden können, aller Voraussicht nach nicht die gefährlichsten sein werden.

Da SoSo halb als (Leserbrief-)Zeitung halb als Forum gedacht ist, wäre es trotz obigem Schlussabsatz sehr schön, wenn Spezialisten diesen Beitrag vertiefen könnten. Da sich aber selbst in bekannteren Foren nur selten wirkliche Spezialisten die Zeit zu solchen Beiträgen nehmen, wird SoSo sicher noch viel Geduld haben müssen, bis sich solche zu uns verirren.


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